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Aktuelle Rechtsfragen zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung bei der vorzeitigen Kreditablösung

Risikokosten, Verwaltungsaufwand, Sondertilgungsrechte und die Kritik an der Aktiv-Passiv-Methode

Ein Interview mit Rechtsanwalt Dr. Schulte am Hülse,
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

 

 

 

 


Überblick:

  • Was versteht man unter einer Vorfälligkeitsentschädigung bei einer Kreditablösung?
  • Inwiefern ist die Höhe des der Bank entstehenden Schadens zeitlich begrenzt?
  • Welche klassischen Fehler werden gemacht?
  • Welche Auswirkungen haben vertraglich vereinbarte Sondertilgungsrechte?
  • Was hat es mit der Kritik an der Berechnungsmethode in Zeiten niedriger Zinsen auf sich?
  • Welche Berechnungsmethoden existieren neben der Aktiv-Aktiv-Methode?
  • Ist die Kritik an dieser Methode berechtigt?
  • Wie genau funktioniert die Berechnung nach der Aktiv-Passiv-Methode?
  • Wovon wird der Bank bei dieser Methode virtuell unterstellt?
  • Ist eine Änderung der Rechtsprechung zu befürworten?

ilex:
Herr Dr. Schulte am Hülse, was versteht man unter einer Vorfälligkeitsentschädigung bei einer Kreditablösung?

Dr. Schulte am Hülse:
Als Vorfälligkeitsentschädigung bezeichnet man den Zinsausfallschaden, der einer darlehensgewährenden Bank für die vorzeitige Rückführung eines Darlehens während der Zinsfestschreibungszeit entsteht.

ilex:
Inwiefern ist die Höhe des der Bank entstehenden Schadens zeitlich begrenzt?

Dr. Schulte am Hülse:
Der maßgebliche Schaden umfasst den Zinsschaden und den Verwaltungsaufwand des Darlehensgebers. Ersatzfähig ist der Zinsschaden jedoch nur für den Zeitraum einer rechtlich geschützten Zinserwartung. Eine rechtlich geschützte Zinserwartung besteht nur bis zum vereinbarten Fälligkeitszeitpunkt des Rückzahlungsanspruches oder, wenn dieser zeitlich früher liegt, bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der nächsten zulässigen Kündigung. Das ist oftmals der Ablauf eines gegebenenfalls vereinbarten Zinsfestschreibungszeitraums, wobei die erstmalige Kündigungsmöglichkeit des Darlehensnehmers nach zehn Jahren die Obergrenze bildet.

ilex:
Welche klassischen Fehler werden gemacht, die die geforderte Vorfälligkeitsentschädigung als zu hoch erscheinen lassen kann?

Dr. Schulte am Hülse:
Grundsätzlich gibt es richtige und falsche Berechnungen zur Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung. Ein Kreditsachverständiger, der die Berechnung einer Vorfälligkeitsentschädigung für den Bankkunden überprüfen kann, wird sich unter anderem die ggf. vertraglich vereinbarten Sondertilgungsrechte anschauen, ebenso die angesetzte Höhe der Risikokosten sowie die Verwaltungskosten und nach unzulässigen Bearbeitungsentgelten fahnden. Danach wird er prüfen, ob diese Parameter richtig umgesetzt wurden.

ilex:
Welche Auswirkungen haben vertraglich vereinbarte Sondertilgungsrechte auf die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung?

Dr. Schulte am Hülse:
Sondertilgungsrechte mindern die Vorfälligkeitsentschädigung in voller Höhe, da sie die rechtlich geschützte Zinserwartung der Bank begrenzen. Der Darlehensgeber hat mit der Einräumung von Sondertilgungsrechten von vornherein seine rechtlich geschützte Zinserwartung im jeweiligen Umfang dieser Rechte aufgegeben.

ilex:
Was hat es mit der Kritik an der zulässigen Berechnungsmethode in Zeiten niedriger Zinsen bei der Bezifferung der Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung auf sich?

Dr. Schulte am Hülse:
Der Kreditgeber kann den durch eine Kündigung entstehenden Zinsausfallschaden ersetzt verlangen. Ein solcher Schaden entsteht aber nur, wenn der vertraglich vereinbarte Zinssatz über dem aktuellen Satz für ein Ersatzgeschäft liegt. Und an dieser Stelle kommt es oftmals entscheidend auf die Berechnungsmethode an. Ein Ersatzgeschäft könnte beispielsweise die Neuausleihung eines Kredites („Aktiv-Aktiv-Methode“) sein. In diesem Fall besteht ein Schaden in der Differenz zum vereinbarten Festzinssatz mit dem Bankkunden, der seinen Kredit vorzeitig ablöst und dem Zinssatz für das Ersatzgeschäft.

ilex:
Welche Berechnungsmethoden existieren neben der Aktiv-Aktiv-Methode?

Dr. Schulte am Hülse:
Neben der Aktiv-Aktiv-Methode existiert die Aktiv-Passiv-Methode. Hierbei unterstellt man der kreditgebenden Bank, dass Sie das vorzeitig erlangte Geld hypothetisch in Hypothekenpfandbriefen anlegen würde. Die dabei erzielten Renditen muss sich die Bank schadensmindernd anrechnen lassen.

ilex:
Ist die Kritik an dieser Methode berechtigt und welche Probleme bereitet die heute immer noch angewandte Aktiv-Passiv-Methode bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung?

Dr. Schulte am Hülse:
Grundsätzlich hat der für das Bankrecht zuständige 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes dem Kreditgeber ein Wahlrecht gelassen, ob er die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach der Aktiv-Passiv-Methode oder nach der Aktiv-Aktiv-Methode vornimmt. Allerdings liegen die maßgeblichen Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofes zu den zulässigen Methoden der Berechnungen der Vorfälligkeitsentschädigung einige Jahre zurück. Inzwischen hat sich der Kreditmarkt meines Erachtens nahezu vollständig verändert. Ein Kreditgeber, der keine Hypothekenbank ist, würde heute ganz bestimmt kein Geld mehr in Hypothekenpfandbriefe anlegen. Insofern stellt sich schon die Frage, ob die alten Entscheidungen noch den gegenwärtigen Stand des Kreditmarktes wiederspiegeln? Ich habe daran deutliche Zweifel. Die Aktiv-Passiv-Methode berücksichtigt weder die aktuellen Entwicklungen am Hypothekenmarkt, noch die verschärften Eigenkapitalquoten von Basel II und III. Dadurch führt sie im Einzelfall zu überhöhten Vorfälligkeitsentschädigungen und damit im Ergebnis dazu, dass der Kreditgeber mehr bekommt, als er bekommen hätte, wäre der Kredit ordnungsgemäß abgewickelt worden.

ilex:
Wie genau funktioniert die Berechnung nach der Aktiv-Passiv-Methode?

Dr. Schulte am Hülse:
Bei der Aktiv-Passiv-Methode werden zunächst die ausfallenden Zahlungen in Form eines Zahlungsstroms erfasst. Diese Zahlungsausfälle werden, fingiert durch eine Vielzahl von hypothetischen Hypothekenpfandbriefgeschäften mit jeweils nach Laufzeit gestaffelten unterschiedlichen Renditen, die zum Zeitpunkt der Darlehensrückzahlung als abgeschlossen gelten, durch deren Zins- und Rückzahlungsbeträge ausgeglichen. Da der erforderliche Geldbetrag zum Abschluss der Ersatzgeschäfte größer ist, als das vorzeitig zurückgezahlte Darlehenskapital besteht eine Differenz. Der Schaden ist hier also der Refinanzierungsschaden der durch die veränderten Marktzinsen zum Zeitpunkt der vorfälligen Rückzahlung entsteht. Dabei berechnen sich die jeweiligen Marktzinsen aufgrund der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank für Anleihen in sicheren Wertpapieren, namentlich Hypothekenpfandbriefen.

ilex:
Das heißt man unterstellt virtuell die Bank hätte die vorfällig erbrachte Kreditrückzahlung auf dem freien Wertpapiermarkt auf festverzinslicher Basis bis zum Ende der Festzinsperiode angelegt.

Dr. Schulte am Hülse:
Richtig. Solchen Rechenmodelle mögen vor Jahren tauglich gewesen sein. Mit dem Aufkommen der Finanzkrise verschlechterte sich jedoch die Zinssituation auf dem relevanten Markt für Hypothekenpfandbriefe dramatisch. Schon nach 2014 lag der relevante Zinssatz bei 0,1 %. Und es ist weitgehend aufgrund der veränderten Marktlage unrealistisch, anzunehmen, dass eine Bank das rückgeführte Kapital auf einen solchen Markt anlegen würde, wenn sie es nicht muss. In vielen Fällen ist die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach der „Aktiv-Aktiv-Methode“ heute realistischer. Sie unterstellt, dass eine vorzeitig zurückgeflossene Darlehensvaluta sofort wieder einem neuen Kreditgeschäft zugeführt werden kann. Doch die Rechtsprechung folgt in der Regel den alten Leitsatzentscheidungen überwiegend auch noch dann, wenn sich die Welt inzwischen geändert hat.

ilex:
Plädieren Sie für eine Änderung der Rechtsprechung?

Dr. Schulte am Hülse:
Eine gefestigte Rechtsprechung ist berechenbar, vorhersehbar und sie hat deshalb viele Vorteile, aber auch den Nachteil, dass die Rechtsprechung den alten höchstrichterlichen Leitsatzentscheidungen auch noch dann folgt, wenn sich die Welt inzwischen verändert hat. Allerdings ist die Änderung der Rechtsprechung kein Selbstzweck und die Jurisprudenz würde sich ihrer normativen Kraft rauben, wenn sie die Änderung der Rechtsprechung zum Selbstzweck erklärt. Ich plädiere nur ausnahmsweise und beim Vorliegen von Gründen für eine Neujustierung der Rechtsprechung. Die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach der Aktiv-Aktiv-Methode halte ich in der Tat inzwischen für überprüfenswert. Der Gesetzgeber geht bei der Vorfälligkeitsentschädigung davon aus, dass ein Schaden im Sinne des § 249 BGB ersetzt werden soll. In diesem Sinne ist die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung nun einmal gesetzlich begrenzt. Derjenige, der seinen Kredit vorzeitig ablöst, soll nur den Zustand ersetzen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre; wenn also der Kredit vertragsgemäß bedient worden wäre.

Heute besteht in der Tat eine geänderte wirtschaftliche Marktsituation und damit bestehen Zweifel, ob wir angesichts dieser Umstände mit den Antworten von Gestern die Fragen von heute beantworten können? Mit dem Aufkommen der Finanzkrise verschlechterte sich die Zinssituation auf dem relevanten Markt für Hypothekenpfandbriefe dramatisch. Schon nach 2014 lag der relevante Zinssatz bei 0,1 %. Da ist es weitgehend unrealistisch, anzunehmen, dass eine Bank das rückgeführte Kapital auf einen solchen Markt anlegen würde, wenn sie es nicht muss. In vielen Fällen ist die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach der „Aktiv-Aktiv-Methode“ heute realistischer. Sie unterstellt, dass eine vorzeitig zurückgeflossene Darlehensvaluta sofort wieder einem neuen Kreditgeschäft zugeführt werden kann. Zu anderen Zeiten mag man diese Frage anders beantworten haben und ich will nicht ausschließen, dass man sie zukünftig wieder anders beantworten wird, als heute.

ilex:
Herzlichen Dank für das Gespräch.

(Die Fragen stellte Rechtsanwalt Christian Appelt)

Autor

Dr. Ulrich Schulte am Hülse

Publikationen:

Veröffentlichungsliste Dr. Schulte am Hülse (PDF)

Auswahl (Sonderdrucke als PDF)

Das Abgreifen von Zugangsdaten zum Online-Banking, in: MMR 7/2016, S. 435-440.

Umfang des Auskunftsanspruches gegen die Schufa-Scorewerte, in: NJW 17/2014, S. 1235-1239

Der Anscheinsbeweis bei missbräuchlicher Bargeldabhebung an Geldautomaten mit Karte und Geheimzahl, in: NJW 18/2012, S. 1262-1266.

Das Abgreifen von Bankzugangsdaten im Online-Banking, in: MMR, 2010, S. 84-90.

Weitere Sonderdrucke auf Anfrage

ilex Rechtsanwälte – Berlin & Potsdam Yorckstraße 17, 14467 Potsdam Hohenzollerndamm 123, 14199 Berlin

Telefon +49 331 9793750
Telefax +49 331 97937520

E-Mail: schulte@ilex-recht.de
Internet: ilex-bankrecht.de

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