Das Akteneinsichtsrecht der Strafgeschädigten beim Kapitalanlagenbetrug
In zahlreichen spektakulären Kapitalanlagenbetrugsfällen, die in den vergangenen Jahren verhandelt worden sind, kommen die gesetzlich verbürgten Rechte der Strafverletzten schlecht weg oder werden von Seiten der Strafverfolgungsbehörden sogar ignoriert. Besonders das Akteneinsichtsrecht in die Strafermittlungsakte, ein grundlegendes Recht des Strafgeschädigten, wird gerne auf die lange Bank geschoben und hat in der Bedeutungsskala der Staatsanwaltschaften oftmals den letzten Rang. ilex Rechtsanwälte sprach darüber mit Rechtsanwalt Dr. Ulrich Schulte am Hülse.
ilex: Herr Dr. Schulte am Hülse, Sie haben in einem der größeren und öffentlichkeitswirksamen mutmaßlichen Kapitalanlagenbetrugsfällen eine Beschwerde für einen Strafgeschädigten beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingereicht. Worum ging es in dem Verfahren?
Dr. Schulte am Hülse: In dem Strafverfahren „S & K“ wurden die beiden Hauptangeklagten Stephan S. und Jonas K. vor der 5./28. Großen Strafkammer des Landgerichtes Frankfurt am Main angeklagt (Az. 5/28 KLs 1/15 7310 Js 230995/12). Für einen Strafgeschädigten haben wir uns beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main darüber beschwert, dass den Strafgeschädigten ihr Recht auf Akteneinsicht in die Ermittlungsakte seit Jahren verweigert wird.
ilex: Wie ging das Verfahren aus?
Dr. Schulte am Hülse: das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hob per Beschluss vom 24.06.2015 (Az. 3 Ws 465/15) die Entscheidung der 5./28. Großen Strafkammer des Landgerichtes Frankfurt am Main auf, die, wie schon zuvor die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, einzelnen Geschädigten die Akteneinsicht in die Strafermittlungsakte immer wieder verweigert hatte.
ilex: Ist das ein Einzelfall?
Dr. Schulte am Hülse: Ja und Nein. In kleineren Strafverfahren kommen wir für die Geschädigten an sich sehr schnell an die Ermittlungsakte. In den großen Kapitalanlagenbetrugsfällen stellt es jedoch leider den Regelfall dar, das Staatsanwaltschaften urplötzlich alles tun, eine Akteneinsicht der Strafgeschädigten so lange wie möglich zu verhindern. Staatsanwälte behandeln die Strafgeschädigten dann sehr häufig als bloße Störenfriede, deren Anträge man möglichst immer auf die lange Bank schiebt. Sobald man einen Antrag auf Akteneinsicht stellt, bekommt man oftmals monatelang keine Antwort oder wird mit Standardfloskeln abgespeist.
ilex: Wie lauten diese?
Dr. Schulte am Hülse: Der klassische Antwortsatz lautet: „Die Ermittlungen dauern an“. Damit möchte man gegenüber den Geschädigten ausdrücken: ich gebe Dir die Ermittlungsakte erst, wenn ich das Ermittlungsverfahren abgeschlossen und Anklage erhoben habe und dann bin ich sowieso nicht mehr zuständig, denn dann liegt die Akte beim Strafgericht.
ilex: ist dies rechtlich in Ordnung?
Dr. Schulte am Hülse: Nein, das ist absolut inakzeptabel und ein weitverbreiteter Irrtum unter Staatsanwälten. Der Gesetzgeber hat das Akteneinsichtsrecht des Strafgeschädigten eindeutig in der Strafprozessordnung gesetzlich geregelt. Dieses Einsichtsrecht besteht bereits im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und nicht erst bei Abschluss der Ermittlungen. Ferner steht im Gesetz genau drin, wann das Akteneinsichtsrecht zurückgewiesen werden darf und wann nicht. Die Ermittlungen dauern an ist kein gesetzlicher vorgesehener Zurückweisungsgrund.
ilex: Wie geht man vor?
Dr. Schulte am Hülse: Manchmal setzt man das Recht nur durch, wenn man einen langen Atem hat. Es gibt verschiedenen Möglichkeiten gegen rechtsfehlerhafte Entscheidungen in diesem Bereich vorzugehen. Gegen die unrechtmäßige Zurückweisung des Akteneinsichtsrechtes seitens der Staatsanwaltschaft kann der Geschädigte gerichtliche Entscheidung beantragen. Existiert jedoch keine Zurückweisung muss man gegen die Nichtbearbeitung vorgehen. Hier helfen in einem ersten Schritt Dienstaufsichtsbeschwerden weiter. Ferner würde ich an eine Verzögerungsrüge denken, wenn die Staatsanwaltschaft auch darauf nicht reagiert. Manchmal, so in dem Fall S &K hilft Ihnen eine Beschwerde beim Oberlandesgericht weiter, der stattgegeben wurde. Wir haben aber auch schon eine Verfassungsbeschwerde gegen Gerichtsentscheidungen erhoben, mit denen das Akteneinsichtsrecht der Strafgeschädigten ignoriert wurde.
ilex: Was ist aus der Verfassungsbeschwerde geworden?
Dr. Schulte am Hülse: die konnten wir nach einer Woche für erledigt erklären, weil wir sie eine Zeitung zugespielt hatten und diese darüber berichtet hatte. Daraufhin wurde, offenbar unter dem Druck der Öffentlichkeit, urplötzlich die Einsichtnahme bewilligt, die vorher monatelang verweigert worden war.
ilex: Warum kann der Geschädigte nicht einfach dem Staat vertrauen?
Dr. Schulte am Hülse: Die Interessenlage eines Strafgeschädigten ist naturgemäß davon geprägt, dass diese ihren Schaden so weit als möglich minimieren wollen. Dabei hilft der Staat dem Geschädigte nur bedingt, denn der Strafgeschädigte muss sich sein Recht selber suchen. Ein Schadensausgleich ist besonders dann möglich, wenn nicht nur unerhebliche Geldbeträge beschlagnahmt worden sind. Oder dann, wenn bei größeren Kapitalanlagenbetrugsfällen eine Vielzahl an Insolvenzverfahren laufen, bei denen durchaus Insolvenzmasse vorhanden ist und deliktsrechtliche Forderungsanmeldungen der Strafgeschädigten Sinn ergeben. Dies alles setzt aber eine sehr genaue Prüfung des Inhaltes der Ermittlungsakte voraus. Oder anders ausgedrückt: in derart komplexen Verfahren, wie die wirklichen großen Kapitalanlagenbetrugsfälle der letzten Jahre (S & K, GFE, RWI, Infinus, SHB, Göttinger Gruppe etc.), mit jeweils zahlreichen Beschuldigten und mehreren insolventen Gesellschaften und Vermögenstransaktionen in das Ausland, wird die Ermittlungsakten eben nicht nur für das reine Strafverfahren benötigt, sondern auch für die Geltendmachung und Durchsetzung der berechtigten Ansprüche der Strafgeschädigten in gänzlich anderen Verfahren. Die Staatsanwaltschaft dagegen sieht oft nur ihr Strafverfahren und hat diese Komplexität überhaupt nicht im Blick.
ilex: Wozu braucht man die Ermittlungsakte genau?
Bei einem handfesten Strafvorwurf, nehmen Sie als Beispiel eines der wirklich großen Betrugsfälle der letzten Jahre, in denen wir auf Seiten der Geschädigten tätig waren, existieren regelmäßig eine Vielzahl an Beschuldigten und Beteiligten. Wer von den Beschuldigten am Ende verurteilt wird und mit welchem genauen Tatbeitrag, klärt das Strafverfahren. Zivilrechtlich ist aber nicht viel anders. Wer von den vielen Beschuldigten den Geschädigten gegenüber zivilrechtlich auf Schadensersatz haftet und wer nicht, kann ein Anwalt auf seriöse Art und Weise dem Geschädigten wohl nur aus dem in der Strafakte dokumentierten Ermittlungsergebnis beantworten. Darüber hinaus findet im Rahmen einer Vielzahl von unterschiedlichen Insolvenzverfahren eine nach den Regeln der Insolvenzordnung ordnungsgemäße, nennen wir es Abwicklung, statt. In diesem Zusammenhang stellen sich in unterschiedlichen zivilrechtlichen Verfahren eine Vielzahl von Rechtsfragen, die weit über das eigentliche Strafverfahren hinausreichen. Bei den insolventen Gesellschaften stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Geschädigten Insolvenzgläubiger von Gesellschaften sind, mit denen sie keine Vertragsbeziehung unterhielten. Hierzu müssen Vermögenstransaktionen nachvollzogen werden und dies geht erfahrungsgemäß nur durch Auswertung der Ermittlungsakte. Selbst die Frage ob eine sogenannte „Nachrangklausel“ in Bezug auf die eine oder andere insolvente Gesellschaft greift, mit denen die Strafgeschädigten eine Vertragsbeziehung unterhielten, wirft letztendlich Fragen auf, die sich nur aus der Ermittlungsakte beantworten lassen.
ilex: Vielen Dank für das Gespräch
Die Fragen an Dr. Ulrich Schulte am Hülse stellte Karsten Kietzmann