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Der Beginn der Widerrufsfrist bei Verbraucherdarlehensverträgen

Als Dauerbrenner im Bereich des Bankenrechts stellt sich das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen dar. Er taucht derzeit unter dem Begriff Widerrufsjoker“ in der Presse auf und diverse Bankenjuristen diskutieren seine Voraussetzungen. Für ilex Rechtsanwälte sprach nun Rechtsanwalt Dr. Ulrich Schulte am Hülse mit Rechtsassessor Christian Appelt über die alten und neuen Probleme des Widerrufsrechtes bei Verbraucherdarlehensverträgen, der sich insbesondere mit den europarechtlichen Bezügen des Widerrufsrechtes auseinandergesetzt hat.

Überblick:

ilex: „Herr Appelt, welche Bedeutung hat das Widerrufsrecht für den Bereich der Darlehensverträge?“

„Seit der Schuldrechtsreform im Jahr 2002 findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die Regelung, dass einem Verbraucher im Falle eines Darlehens das Widerrufsrecht bei einem Verbraucherdarlehen zusteht. Diese an sich schlichte Regelung stellt unternehmerisch tätige Kreditgeber seit 2002 vor gewaltige Probleme, denn § 495 BGB verweist in den „Dschungel“ des Widerrufsrechts. Gerade im Bereich der Darlehensverträge kann das Widerrufsrecht gewaltige finanzielle Auswirkungen haben. Üblicherweise schließen Bank und Verbraucher Darlehensverträge über lange Zeiträume. Dabei schreiben beide Seiten den Darlehenszins für lange Zeit fest. Gesetzlich zulässig sind festgeschriebene Zinsen bis zu 10 Jahren. In vielen Fällen ärgern sich Verbraucher über ihre vor langer Zeit festgeschriebenen Zinsen. Hintergrund ist die derzeitige Phase von Niedrigzinsen. Deshalb versuchen viele Verbraucher das Widerrufsrecht im Verbraucherdarlehensvertrag auszuüben, um von den derzeit sehr niedrigen Darlehenszinsen zu profitieren.“

ilex: „Was bedeutet überhaupt Widerrufsrecht?“

„Beim Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen handelt es sich allgemein um die Möglichkeit sich von bestimmten Verträgen nachträglich zu lösen, ohne hierfür eine Begründung zu benötigen. Das Widerrufsrecht bildet daher eine gesetzliche Ausnahme zum Grundsatz „pacta sunt servanda“ („Verträge sind einzuhalten“) der sonst im deutschen Recht vorherrscht. Diese Ausnahme steht dabei allerdings unter engen Voraussetzungen. Die praktische Bedeutung ist, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht innerhalb einer sehr kurzen Widerrufsfrist von 14 Tagen ausüben muss.“

ilex: „Wann tritt der Fristablauf beim Widerrufsrecht ein?“

Nach dem Ablauf der zweiwöchigen Widerrufsfrist kann der Verbraucher das Widerrufsrecht nicht mehr wirksam ausüben. Er ist nach deren Ablauf an den Vertrag gebunden.“

ilex: „Worin liegt die Gefahr aus Bankensicht?“

„Das Gesetz knüpft den Beginn der zweiwöchigen Widerrufsfrist an sehr strenge Bedingungen. Sobald es dem Darlehensgeber nicht gelingt diese zu erfüllen beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen. Dies hat zur Folge, dass Verbraucherdarlehensverträge möglicherweise noch nach Jahren durch die Verbraucher widerrufen werden können. Die entsprechenden verbraucherfreundlichen Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) haben sowohl Öffentlichkeit als auch Fachwelt in Aufruhr versetzt. Kreditinstitute waren regelrecht erschüttert. Sie mussten Darlehensverträge teilweise Jahre und Jahrzehnte später wieder rückabwickeln. Insbesondere die ständige Veränderung der Musterwiderrufsbelehrung stellte Darlehensgeber vor enorme Herausforderungen.“

ilex „Warum?“

„Der Gesetzgeber stellt seit 2002 sogenannte Musterwiderrufsbelehrungen zur Verfügung. Er verbindet dieses Muster mit der Regelung, dass sich derjenige rechtstreu verhält, der dieses Muster verwendet. Wenn die Bank also das jeweils zu Vertragsschluss gültige amtliche Widerrufsbelehrungsformular verwendete gilt die gesetzliche Fiktion, dass die Belehrung über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen richtig ist.“

ilex „Warum verwendete niemand einfach das „Muster“? Wären dann nicht alle Gefahren vermeidbar gewesen?“

„Grundsätzlich hätten Kreditgeber Risiken durch Verwendung des amtlichen Musters vermeiden können. Doch der Gesetzgeber machte es Darlehensgebern schwer mit der gesetzlichen Entwicklung Schritt zu halten. Hintergrund ist die europäische Prägung von Verbraucherdarlehen und Widerrufsrecht. Das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen entstammt ursprünglich einer EU-Richtlinie. Das heißt, nicht nur der deutsche Gesetzgeber wurde in diesem Bereich tätig, sondern auch der europäische Gesetzgeber. Dementsprechend gab es eine Vielzahl von Gesetzesänderungen und damit verbundenen Änderungen der amtlichen Musters der Widerrufsbelehrung. Eine dem amtlichen Muster entsprechende Widerrufsbelehrung einer Bank konnte aufgrund einer Gesetzesänderung quasi „über Nacht“ fehlerhaft werden, mit der Folge das die Widerrufsfrist bei Neuverträgen nicht zu laufen begann. Dieser für Geldinstitute gefährliche Umstand immer neuer Musterwiderrufsbelehrungen endete im Jahr 2010 mit der umfassenden Neuregelung des Widerrufsrechts von Verbraucherdarlehensverträgen. Gleichzeitig schuf der Gesetzgeber neue Fehlerquellen für Banken.“

ilex: „Was änderte sich 2010?“

„Zum 11. Juni 2010 setzte der deutsche Gesetzgeber unter anderem die neue europäische Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG in geltendes deutsches Recht um. Die Gesetzesänderung brachte den Banken Vorteile und Risiken. Größter Vorteil der Darlehensgeber war sicherlich die Formulierung einer amtlichen Widerrufsbelehrung ausschließlich für den Bereich des Widerrufs bei Verbraucherdarlehen. Diese neue sogenannte „Widerrufsinformation“ stellt für die Banken eine echte Erleichterung gegenüber den alten, sich ständig ändernden amtlichen Musterwiderrufsbelehrungen dar. Diese neue „Widerrufinformation“ ändert sich bei Weitem nicht so häufig, wie zu früheren Zeiten. Dies stellt einen gewaltigen Vorteil dar, da fehlerhafte Widerrufsbelehrungen mittlerweile kaum noch auftreten.“

ilex: „Wo bestehen die neuen Risiken der Banken?“

„Seit dem Jahre 2010 haben die Banken umfangreiche vertragliche und vorvertragliche Informationspflichten. Diese sogenannten „Pflichtangaben“ finden sich versteckt In einem der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Gesetz, im Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB). Zu diesen Pflichtangaben gehören nicht nur so naheliegende Informationen, wie z.B. der Nettodarlehensbetrag und dem effektiven Jahreszins, sondern auch vergleichsweise exotische Angaben wie die Aufsichtsbehörde des Darlehensgebers und ein Tilgungsplan für den Verbraucher.“

ilex: „Was passiert wenn der Darlehensgeber die Pflichtangaben nicht in der gesetzlichen Form gibt?“

„Das Gesetz knüpft an einzelne Pflichtangaben, deren Fehlen für Banken fatale Konsequenzen haben kann, da die Widerrufsfrist nicht beginnt zu laufen. Die entsprechende Regelung findet sich in § 495 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2b) BGB in der alten Fassung. In der seit dem 12. Juni 2014 geltenden Fassung des BGB findet sich diese Regelung versteckt in § 356b Abs. 2 Satz 1 BGB.“

ilex: „Warum ist dies für die Banken fatal?“

„Die Konsequenz des Nichtbeginns der Widerrufsfrist besteht unabhängig von einer Widerrufsbelehrung. Auch wenn die Bank keine Fehler bei der Widerrufsbelehrung macht oder sogar das amtliche Muster verwendet, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen, wenn auch nur eine einzige Pflichtangabe fehlt. Das bedeutet, selbst ein so kleiner Fehler, wie die Nichtangabe der Aufsichtsbehörde, macht einen Darlehensvertrag auch noch nach Jahren widerrufbar.“

ilex: „Wie oft fehlen die Pflichtangaben oder Teile davon?“

„Auch nach sorgfältiger Recherche fand sich kein einziger Vertrag über ein Verbraucherdarlehen, der alle Pflichtangaben in der gesetzlichen Form enthielt. So gut wie immer fehlte die Information über die zuständige Aufsichtsbehörde des Darlehensgebers. Möglicherweise muss man davon ausgehen, dass die meisten Verbraucherdarlehensverträge seit Jahren widerrufbar sind. Kreditnehmer können also ihr Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen für Verträge in vielen Fällen auch bei jüngeren Verträgen ausüben.“

ilex: „Was können Verbraucher tun?“

„Alle Verbraucher die ihren Verbraucherdarlehensvertrag, der vor oder nach dem 11. Juni 2010 geschlossen wurde, widerrufen möchten sollten einen Spezialisten zu Rate und den Vertrag auf fehlende Pflichtangaben überprüfen lassen. Dies gilt auch dann, wenn schon eine Überprüfung der Widerrufsbelehrung erfolgte, da die Pflichtangaben hiervon unabhängig sind.“

ilex: „Was ist den Banken zu raten?“

„Darlehensgeber, die Pflichtangaben versäumten, können diese unproblematisch nachholen. Sobald der Darlehensgeber die Pflichtangaben nachgeholt hat, beginnt die Widerrufsfrist zu laufen, beträgt dann aber einen Monat. Auch auf die nun längere Widerrufsfrist muss der Darlehensgeber dann hinweisen. Am Sichersten ist es, wenn der Darlehensgeber mit Übersendung der Pflichtangaben erneut mittels des amtlichen Musters über den Widerruf belehrt wird.“

ilex: „Herzlichen Dank für das Gespräch.“

Die Fragen stellte Rechtsanwalt Dr. Ulrich Schulte am Hülse

Autor

Dr. Ulrich Schulte am Hülse

Publikationen:

Veröffentlichungsliste Dr. Schulte am Hülse (PDF)

Auswahl (Sonderdrucke als PDF)

Das Abgreifen von Zugangsdaten zum Online-Banking, in: MMR 7/2016, S. 435-440.

Umfang des Auskunftsanspruches gegen die Schufa-Scorewerte, in: NJW 17/2014, S. 1235-1239

Der Anscheinsbeweis bei missbräuchlicher Bargeldabhebung an Geldautomaten mit Karte und Geheimzahl, in: NJW 18/2012, S. 1262-1266.

Das Abgreifen von Bankzugangsdaten im Online-Banking, in: MMR, 2010, S. 84-90.

Weitere Sonderdrucke auf Anfrage

ilex Rechtsanwälte – Berlin & Potsdam Yorckstraße 17, 14467 Potsdam Hohenzollerndamm 123, 14199 Berlin

Telefon +49 331 9793750
Telefax +49 331 97937520

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Internet: ilex-bankrecht.de

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