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EuGH erklärt Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig - Welche Folgen hat dies für das Datenschutzrecht?

Potsdam, 8. April 2014. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärt die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig (C-293/12 und C-594/12). Der EuGH stellt sich zwar nicht grundsätzlich gegen eine Vorratsdatenspeicherung, sieht im konkreten Fall aber die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten. Damit hat der EuGH klargestellt, dass ihm der Schutz personenbezogener Daten (Datenschutz) ein wichtiges Anliegen ist. Die politisch brisante Entscheidung zeigt eine Tendenz des EuGH, hin zu mehr Bürgerrechten, gerade im Datenschutzrecht. Dies könnte auch für einige deutsche Rechtssätze (etwa zur BGH Entscheidung über den Scoring-Auskunftsanspruch) ins Wanken bringen. ilex berichtet.

Gliederung:

1. Die Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof hat heute die Richtlinie 2006/24/EG, also die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, für ungültig erklärt. Denn sie beinhalte "einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt."

Die Richtlinie, die auch in Deutschland für politische Diskussionen sorgte, sollte eu-weit einheitlich regeln, dass die Anbieter öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste die von ihnen erzeugten oder verarbeiteten Daten anlasslos speichern. Ziel dieser Vorratsdatenspeicherung war es, sicherzustellen, dass die Daten zur Verfolgung von schweren Straftaten zur Verfügung stehen. Hierfür sollten die Anbieter die jeweiligen Verkehrs- und Standortdaten sowie alle damit in Zusammenhang stehenden Daten, die zur Feststellung des Teilnehmers oder Benutzers erforderlich sind, auf Vorrat speichern. Daten über den Inhalt der Kommunikation sollten nicht umfasst sein.

Der irische High Court und der österreichische Verfassungsgerichtshof haben diese Richtlinie dem EuGH mit der Bitte vorgelegt, die Gültigkeit der Richtlinie im Hinblick auf die Grundrechte der Betroffenen zu prüfen. Insbesondere das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens und das Grundrecht auf den Schutz von personenbezogenen Daten sollten tangiert sein.

Nun hat der EuGH entschieden, dass die Vorgaben der Richtlinie nicht mit Artikel 8 der Charta der Grundrechte der europäischen Union (Grundrechtecharta) und Artikel 9 Grundrechtecharta vereinbar seine. Zwar sei der Wesensgehalt der Grundrechte (Artikel 8 - Schutz personenbezogene Daten, Artikel 9 - Schutz der Privatsphäre) durch die Vorratsdatenspeicherung per se nicht ausgehöhlt, doch die konkrete Ausgestaltung der Richtlinie verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Nach Ansicht des EuGH sind es v.a. fünf Punkte, die unverhältnismäßig stark in die vorgenannten Grundrechte eingreifen:

• Erstens behandele die Richtlinie alle Betroffenen, alle Kommunikationsmittel und alle Verkehrsdaten gleich, ohne Differenzierung im Einzelfall.
• Zweitens sehe die Richtlinie keine Voraussetzungen und kein Verfahren für die Übermittlung der Daten an Ermittlungsbehörden vor, insbesondere seien keine exakten Tatbestandsvoraussetzungen beschrieben und es fehle auch der Vorbehalt einer gerichtlichen Prüfung.
• Drittens sehe die Richtlinie eine Mindestspeicherungsfrist von sechs Monaten vor, ohne hier zwischen den Datenarten oder den Betroffenen zu differenzieren.
• Viertens regele die Richtlinie keine Garantien, die einen Missbrauch der Daten verhindern.
• Fünftens fehle eine Regelung, dass die Daten zwingend innerhalb der EU bleiben, sodass eine wirksame und unabhängige Kontrolle der Richtlinienvorgaben gefährdet sei.

2. Auswirkungen auf das gesamte Europäische Datenschutzrecht

Der EuGH hat ein mutiges Grundsatzurteil gefällt und erinnert hier stark an das junge Bundesverfassungsgericht der 1950er und 1960er Jahre, das sich gegenüber der Politik, aber gelegentlich auch gegenüber der Mehrheitsmeinung seine "Macht" erkämpfen musste. Zugleich ist das Urteil sehr ausgewogen, da es die Vorratsdatenspeicherung nicht grundsätzlich für unzulässig erklärt, sondern lediglich klare Voraussetzungen definiert.

Doch die Bedeutung der Entscheidung geht darüber hinaus. Der EuGH hat in einer Zeit, in der dem Thema Datenschutz europaweit Orientierungslosigkeit vorgeworfen wird, einen deutlichen Einblick in seine Grundtendenz gewährt. Diejenigen Stellen, die mit der neuen Datenschutzgrundverordnung für den privaten und der neuen Datenschutzrichtlinie für den öffentlich Bereich beschäftigt sind, werden diesen Zwischenruf des EuGH genau verfolgt haben. Die Tendenz des EuGH ist deutlich:

Grundsätzlich gibt es keine Vorbehalte gegen die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten. Doch je tiefgreifender die Beeinträchtigungen sind, die durch den jeweiligen Datenumgang hervorgehoben werden, desto stärker muss der "Datenschutz" sein. Datenschutz bedeutet hier nicht Abschottung, sondern die Schaffung von Schutzmechanismen zugunsten der Betroffenen. Die Betroffenen sollen in der Lage sein, sich ggf. zu wehren.

Im Hinblick darauf, dass die Vorratsdatenspeicherung nur ein Thema auf der europäischen Datenschutzagenda ist, sollten sowohl die nationalen Gesetzgeber und Gerichte als auch der Unionsgesetzgeber gut aufpassen. Der EuGH könnte seine Tendenz durchaus fortsetzen. Ob dies geschieht, wird gleichwohl vom Einzelfall abhängen, wie der aktuelle Fall auch zeigt.

3. Beispiel: Entscheidung des BGH zum Scoring-Auskunftsanspruch

In einem konkreten Fall hier in Deutschland könnte sich dies schon sehr bald zeigen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Auskunfteien nicht die wesentlichen Elemente ihrer Scoreberechnung offenbaren müssen (VI ZR 156/13 ). Denn die Auskunfteien könnten sich auf ihr Geschäftsgeheimnis berufen. Der EuGH, der stets betont wie wichtig das Auskunftsrecht ihm ist (C-553/07), hat auch in seiner aktuellen Entscheidung betont, wie wichtig solche Verfahrensgarantien ihm sind. Der EuGH könnte, sollte ihm diese Rechtsprechung doch einmal vorgelegt werden, auf die Idee kommen, auch die Rechtsprechung des BGH als unverhältnismäßig anzusehen. Denn die Entscheidung des BGH könnte auch unverhältnismäßig sein, weil der BGH nicht berücksichtigt hat, dass ein milderes Mittel zum Schutz des Geschäftsgeheimnisses der Auskunfteien darin bestehen könnte, die Empfänger der Auskunft zur Verschwiegenheit zur verpflichten.

4. Fazit

Der EuGH hat sein Bekenntnis zum Datenschutz zum Ausdruck gebracht, ohne dabei zu überziehen. Er hat nicht die Abschaffung der Datenverarbeitung gefordert, sondern nur die Einschränkung durch Sicherheitsmaßnahmen und -garantien. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Trend fortsetzt.

Autor

Dr. Ulrich Schulte am Hülse

Publikationen:

Veröffentlichungsliste Dr. Schulte am Hülse (PDF)

Auswahl (Sonderdrucke als PDF)

Das Abgreifen von Zugangsdaten zum Online-Banking, in: MMR 7/2016, S. 435-440.

Umfang des Auskunftsanspruches gegen die Schufa-Scorewerte, in: NJW 17/2014, S. 1235-1239

Der Anscheinsbeweis bei missbräuchlicher Bargeldabhebung an Geldautomaten mit Karte und Geheimzahl, in: NJW 18/2012, S. 1262-1266.

Das Abgreifen von Bankzugangsdaten im Online-Banking, in: MMR, 2010, S. 84-90.

Weitere Sonderdrucke auf Anfrage

ilex Rechtsanwälte – Berlin & Potsdam Yorckstraße 17, 14467 Potsdam Hohenzollerndamm 123, 14199 Berlin

Telefon +49 331 9793750
Telefax +49 331 97937520

E-Mail: schulte@ilex-recht.de
Internet: ilex-bankrecht.de

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