Filesharing: Das Bundesverfassungsgericht bezieht Stellung zur Frage der Überwachungspflicht des Internetanschlussinhabers - Beschluss vom 21. März, Az. 1 BvR 2365/11
Jedem, der sich mit dem Phänomen Filesharing und Massenabmahnung beschäftigt, ist bekannt, dass unbescholtene Bürger alleine aufgrund des Umstandes, dass sie einen Internetanschluss haben, in das Visier der so genannten Abmahnanwälte kommen können. Hier lautet der Vorwurf regelmäßig, dass sie als „Störer“ für die rechtsmissbräuchliche Nutzung des Internets durch Dritte haften, in denen sie ihren Internetanschluss überlassen haben. Wie so Vieles im Recht, sind die Obergerichte in dieser Frage uneinheitlich. Durch die erfolgreiche Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist das Oberlandesgericht, welches den Fall in der 2. Instanz zu entscheiden hatte, gezwungen, erneut über den Fall zu entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht lässt zwischen den Zeilen ahnen, dass es ein Wörtchen mitzureden hat. ilex nimmt die Entscheidung zum Anlass, die Frage der Störerhaftung zu erläutern, und wagt einen Blick in die Zukunft.
Gliederung:
1. Hintergründe
Wie kann es sein, dass ein vermeintlich Unbeteiligter für ein Handeln eines anderen in Anspruch genommen wird? Um diese Frage zu beantworten, muss weiter ausgeholt werden. Genau genommen werden einem Internetanschlussinhaber von den Rechtsanwälten der Rechteinhaber zwei Vorwürfe gemacht: Zunächst einmal wird behauptet, der Internetanschlussinhaber sei auch derjenige gewesen, der die Tauschbörse (Filesharing-Software) selbst auf seinem Rechner zum Einsatz gebracht hat und damit Täter des vorwerfbaren Verhaltens ist. Für den Fall, dass der Internetanschlussinhaber die Tauschbörse aber nicht selbst verwendet habe, Dritte aber Zugang zu dem Internetanschluss gehabt haben, wird der Internetanschlussinhaber auf die so genannte Störerhaftung verwiesen. Hiernach hafte er, da er seinen Internetzugang zur Verfügung gestellt und dadurch die Teilnahme an der Tauschbörse ermöglicht habe. Selbstverständlich unterlassen es die Abmahnanwälte darauf hinzuweisen, dass für den Fall der Störerhaftung kein Anspruch auf Schadensersatz (fiktive Lizenzgebühr) besteht.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch das Schaffen einer Gefahrenlage Haftungsfragen auslöst. Man stelle sich nur vor, ein Jäger ließe seine Waffen bei McDonald's auf dem Tisch liegen und ein Amoklauf wäre die schreckliche Folge. Selbstverständlich würde jeder sofort an eine Mitschuld des Jägers denken. Nun handelt es sich bei einem Internetanschluss sicherlich nicht um eine vergleichbare Gefahrenlage. Wie die jüngste Vergangenheit jedoch zeigt, bediente sich eine Vielzahl von Krimineller den Möglichkeiten des Internets, ihren gesetzeswidrigen Machenschaften zu frönen. Im Ergebnis kann also ein Internetanschluss ebenso wie eine Waffe Instrument zur Verletzung von Rechten Dritter sein. Das Modell der Störerhaftung trägt diesem Umstand Rechnung. Derjenige, dem eine Gefahrenquelle zuzurechnen ist, hat angemessen Sorge dafür zu tragen, dass die Gefahren sich nicht verwirklichen. So soll das Risiko des rechtswidrigen Gebrauchs des Internetanschlusses über WLAN durch Dritte dadurch minimiert werden, dass eine aktuelle Verschlüsselung verwendet wird.
In dem hier zu entscheidenden Fall geht es aber nicht um die Frage, ob ein Internetanschlussinhaber für die Benutzung seines Internetanschlusses durch Dritte über den WLAN-Anschluss haftet. Geklärt ist in diesem Fall bereits, dass der volljährige Schwiegersohn des Internetanschlussinhabers die Internettauschbörse verwendet hatte. Es geht hier also um die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen ein Internetanschlussinhaber dafür haftet, dass ein Dritter (zum Beispiel ein Familienmitglied) im Rahmen dessen zugelassener Benutzung des fremden Internetanschlusses Urheberrechtsverletzungen begeht.
2. Die Entscheidung
Das Oberlandesgericht hatte über die Berufung des Internetanschlussinhabers zu entscheiden, der sich nicht damit begnügen wollte, für das Fehlverhalten seines volljährigen Schwiegersohns zu haften. Das Oberlandesgericht bediente sich zur Begründung einer Störerhaftung der Argumentation des Bundesgerichtshofs in dessen "Sommer unseres Lebens"-Entscheidung (BGHZ 185, 330). Dabei ließ das Oberlandesgericht außer Betracht, dass es bei der Entscheidung des Bundesgerichtshofs um den Fall ging, dass ein Dritter (1) ohne Kenntnis des Internetanschlussinhabers die Urheberrechtsverletzung über dessen (2) nicht hinreichend gesicherten WLAN-Anschluss beging. Wie oben bereits ausgeführt ist dieser Fall mit dem hier relevanten jedoch nicht identisch. Deshalb verwies das Bundesverfassungsgericht den Fall zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht mit dem Hinweis, dass die Revision zum Bundesgerichtshof wohl zugelassen werden müsste.
Sinn und Zweck der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es, dass die uneinheitliche Rechtsprechung der Obergerichte durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vereinheitlicht werde. Die unterschiedlichen Auffassungen der Obergerichte lassen sich grob wie folgt zusammenfassen: Manche Obergerichte vertreten, dass eine Pflicht, die Benutzung des Internetanschlusses zu überwachen oder gegebenenfalls zu verhindern, nur bestünde, wenn der Anschlussinhaber konkrete Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Nutzung seines Anschlusses habe. Andere Obergerichte legen dem Internetanschlussinhaber eine Instruktions- und Überwachungspflicht grundsätzlich schon mit der Überlassung des Anschlusses an einen (und zum Teil auch unabhängig von dem Alter des) Dritten auf.
3. Aussicht
Zunächst bewirkt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass sich das Oberlandesgericht erneut mit dem Fall auseinandersetzen muss. Sehr wahrscheinlich wird der Internetanschlussinhaber bei gleich bleibender Auffassung des Oberlandesgerichts (ansonsten der Rechteinhaber) den Fall dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung im Wege der Revision vorlegen lassen. Mit Spannung kann dann erwartet werden, wie der Bundesgerichtshof diese spezielle Frage der Störerhaftung entscheidet. Dies ist aber gegebenenfalls noch nicht die letzte Entscheidung in diesem Fall. Möglich ist es nämlich, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs ebenfalls angefochten und sodann dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Als Hüter der Verfassung könnte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts durchaus überraschend ausfallen. Jedenfalls ist es aus Sicht der Beteiligten schon jetzt ein Schritt in die richtige Richtung, da die uneinheitliche Rechtsprechung in den Tauschbörsen-Fällen zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit vor allem der Internetanschlussinhaber geführt hat. Zumindest zeigt die Entscheidung, dass es sich im Einzelfall lohnen kann, Durchhaltevermögen zu beweisen, und nicht gleich bei dem ersten Abmahnschreiben "einzuknicken".