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Prüfungs- und Kirchenrecht: Gerichtliche Überprüfung des theologischen Staatsexamens

Prüfungen sind alltäglich; von der Schule über die Fahrschule bis hin zur Lehre oder Universität; gelegentlich stehen auch Prüfungen des Glaubens am Wegesrand der Menschen. Examina im engeren Sinne gehören oftmals zu den schwierigen und unangenehmen Prüfungen. Sie sind für die Prüfungskandidaten oftmals existentiell; ist ihr Bestehen doch so häufig ausschlaggebend für die berufliche Zukunft. Ist der Prüfungskandidat nicht einverstanden mit seinem Prüfungsergebnis, stellt sich die Frage, ob die Prüfungsentscheidung nicht gerichtlich angefochten werden kann. Gerade im Theologischen Examen sind bei der nachträglichen Überprüfung von Examensnoten einige Besonderheiten zu beachten. Der Beitrag informiert über diese Besonderheiten am Beispiel der Union Evangelischer Kirchen.

Gliederung


1. Kirchenrecht

Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Dieser Artikel 137 Absatz 3 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung gilt gemäß Artikel 140 des Grundgesetzes bis heute fort und garantiert den Kirchen ein umfangreiches Selbstbestimmungsrecht.
Hierzu zählt sogar eine eigene Kirchengerichtsbarkeit. Innerhalb der Union Evangelischer Kirchen gilt das Kirchengesetz über die kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit, in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Februar 2005 (ABl. EKD S. 86), geändert durch Kirchengesetz zur Änderung des Verwaltungsgerichtsgesetzes und der Disziplinarverordnung vom 13. Mai 2006 (ABl. EKD S. 242).

Das sog. Verwaltungsgerichtsgesetz (kurz: VwGG), das der weltlichen Verwaltungsgerichtsordnung (kurz: VwGO) ähnelt und in Teilen sogar umfassend auf sie verweist (§ 71 VwGG), ist die hier maßgebliche Verfahrensordnung.
In § 18 VwGG ist etwa geregelt, dass sich jeder oder jede Beteiligte vor den kirchlichen Verwaltungsgerichten durch einen Bevollmächtigten oder eine Bevollmächtigte vertreten lassen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die oder der Bevollmächtigte oder Bevollmächtigte ein volljähriges Mitglied einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland ist.

Nach § 22 Absatz 1 VwGG setzt die Erhebung einer Klage vor den Kirchengerichten voraus, dass der oder die Betroffene von den nach dem kirchlichen Recht vorgesehenen besonderen Rechtsbehelfen erfolglos Gebrauch gemacht hat. Doch die Absätze 2 und der 3 zeigen, dass es von diesem Grundsatz Ausnahmen gibt.

2. Kirchliches Prüfungsrecht

Innerhalb der Union Evangelischer Kirche ist die sog. Zweite Theologische Prüfung von großer Bedeutung. Die Einzelheiten der Prüfung werden innerhalb der unterschiedlichen Gliedkirchen geregelt. Zur Vereinfachung beleuchtet der Beitrag – insoweit – die Situation in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Andere Gliedkirchen haben teils andere Regelungen, wobei die prüfungsrechtlichen Grundsätze überwiegend gleich sind.

Hierbei sind v.a. drei Rechtsquellen des Prüfungsrechts hervorzuheben:

• Kirchengesetz über die Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer in der Evangelischen Kirche der Union (Pfarrausbildungsgesetz – PfAG) vom 9. Juni 2002 (KABl.-EKiBB 2003 S. 1071, ABl. EKD S. 303)
• Ordnung des Theologischen Prüfungswesens der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (ThPO) vom 5. November 2004 (KABl. S. 214)
• Ordnung der Zweiten Theologischen Prüfung vom 5. November 2004 (KABl. S. 214)

Während das Pfarrausbildungsgesetz und die Ordnung des Theologischen Prüfungswesens der Evangelischen Kirche Berlin-Branden-schlesische Lausitz Ermächtigungsgrundlagen für Einzelfallregelungen sind, ist die Ordnung der Zweiten Theologischen Prüfung eine sehr konkrete Normierung.

Dort (§ 2) ist u.a. geregelt, dass die Zweite Theologische Prüfung aus drei schriftlichen Prüfungen, zwei Projektprüfungen und sieben mündlichen Prüfungen besteht. Während § 4 die Zulassungsvoraussetzungen zur Prüfung normiert, ist die entscheidende Norm § 12, wo die Notenstufen und ihre Voraussetzungen normiert werden.
Bei der Festlegung der Noten hat die Prüfungskommission – entgegen langläufiger Meinung – kein Ermessen. Eine hervorragende Leistung muss zwingend mit sehr gut bewertet werden. Ermessen würde bedeuten, dass die Prüfungskommission selbst bei Vorliegen einer sehr guten Leistung das Recht hätte, eine ungenügende Leistung zu attestieren.

Gleichwohl steht der Prüfungskommission – wie auch bei weltlichen Prüfung – ein nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum bei der Frage zu, was eine hervorragende und was eine ungenügende Leistung ist.
Wer gegen das Endergebnis seiner Prüfung klagen möchte, sollte dabei aber § 22 VwGG bedenken, der vorschreibt, dass der oder die Betroffene vor der Klage von den nach dem kirchlichen Recht vorgesehenen besonderen Rechtsbehelfen erfolglos Gebrauch gemacht hat. Innerhalb der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz gilt hier jedoch die Besonderheit des § 16 der Ordnung der Zweiten Theologischen Prüfung. Darin heißt es u.a.: Gegen Prüfungsentscheidungen kann innerhalb eines Monats nach ihrer Bekanntgabe Klage vor dem Verwaltungsgericht der Landeskirche erhoben werden. Ein Verwaltungsvorverfahren findet nicht statt. Dies kann jedoch von Prüfungsort zu Prüfungsort unterschiedlich sein.

3. Rechtsprechungsübersicht

Innerhalb der Kirchengerichtsbarkeit gibt es gemäß § 2 VwGG zwei Instanzen: das ortsgebundene Verwaltungsgericht der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (1. Instanz) und der Verwaltungsgerichtshof der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (2. Instanz).

Die kirchengerichtliche Rechtsprechung hat sich in gewissen Abständen immer wieder auch grundsätzlich zum Prüfungsrecht geäußert. Hier ein kurzer Überblick, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erfüllen will:

VGH U 67/86 vom 29. Mai 1987 (Vorinstanz Berlin) = RsprB ABl.EKD 1988, S. 10.

Mit Urteil vom 29. Mai 1987 entschied der Verwaltungsgerichtshof der Union Evangelischer Kirchen in der EKD, dass sich die gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen auch im kirchlichen Bereich auf die Feststellung beschränkt, ob die Vorschriften des Prüfungsverfahrens eingehalten wurden, die allgemeinen Bewertungsgrundsätze beachtet worden und keine sachwidrigen Erwägungen in die Prüfungsentscheidung eingeflossen sind. Es sei überdies nicht Aufgabe eines Prüfers, bei der Bewertung einer Prüfungsleistung im Einzelnen schriftlich darzulegen, wie die Prüfungsaufgabe seiner Auffassung nach hätte gelöst werden sollen. Letztlich führte der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung auch aus, dass sich der Vorwurf der Willkür im Prüfungsverfahren nur mit eindeutigen Hinweisen darauf begründen lässt, dass und wie der Prüfling aus sachfremden Gründen bewusst benachteiligt worden ist.

VGH U 11/87 vom 15. Dezember 1988 (Vorinstanz Berlin) = RsprB ABl.EKD 1990, S. 6

Mit Urteil vom 15. Dezember 1988 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung zur Ersten Theologischen Prüfung vorliegen, die beantragte Zulassung nur abgelehnt werden darf, wenn im Rahmen der Ermessenentscheidung besondere berücksichtigungsfähige und gewichtige Gründe dies rechtfertigen.

VGH U 10/00 vom 6. April 2001 (Vorinstanz Westfalen) = RsprB ABl.EKD 2002, S. 13

Mit Urteil vom 06. April 2012 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass das geltende Kirchenrecht der Evangelischen Kirche von Westfalen keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme in den Vorbereitungsdienst durch Bestehen der Ersten Theologischen Prüfung begründe. Die für den Vorbereitungsdienst im staatlichen Bereich aus Artikel 12 GG entwickelten Grundsätze seien auf den kirchlichen Vorbereitungsdienst nicht anwendbar. Die Kirchen sind deshalb nicht verpflichtet, den kirchlichen Vorbereitungsdienst in einem ihre Mittel übersteigendem Umfang weiter für solche Bewerber offen zu halten, denen sie nach ihrer Personalplanung keine entsprechende Beschäftigung bieten können.

VGH U 8/02 vom 25. September 2003 (Vorinstanz Kurhessen-Waldeck) = RsprB ABl.EKD 2004, S. 6

Mit Urteil vom 25. September 2003 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass der Bischof nach Ermessen über die Aufnahme eines Kandidaten, der die Erste Theologische Prüfung abgelegt hat, in den Ausbildungsdienst der EKKW entscheide. Ein Anspruch auf Aufnahme bestünde gemäß § 3 Abs. 3 S. 1 VikarAusbVO-EKKW nicht. Für den Fall, dass die Anzahl der Kandidaten, die in den Ausbildungsdienst aufgenommen werden sollen, die Anzahl der Ausbildungsplätze übersteigt, bestimmt § 3 Abs. 2 S. 2 Vikar-AusbVO-EKKW, dass der Bischof über die Auswahl nach zuvor veröffentlichten Grundsätzen entscheidet. Die Anwendung dieser Vorschrift setze die Auswahlentscheidung des Bischofs, welche Kandidaten in den Ausbildungsdienst aufgenommen werden sollen, voraus.

VGH U 2/06 vom 11. Juni 2007 (Vorinstanz Rheinland) = RspB. ABl.EKD 2008 S. 11

Mit Urteil vom 11. Juni 2007 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass die Prüfungsfragen zum Grundwissen und zum Schwerpunktwissen zum selben Stoffgebiet eines Prüfungsbereichs gehören dürften. Auch im kirchlichen Prüfungsrecht habe der Prüfling bei berufsbezogenen Prüfungen einen Anspruch darauf, dass die Bewertungen seiner Prüfungsleistungen in einem verwaltungsinternen Widerspruchs- oder in einem anderen Rechtsbehelfsverfahren unter maßgeblicher Beteiligung der ursprünglichen Prüfer überdacht werden, wenn er substantiierte Einwendungen gegen die Bewertungen erhebt.

4. Fazit

Die zweite theologische Prüfung ist eine komplexe Prüfung, deren Ausgang zudem hohen Einfluss auf das weitere Leben der Prüfungskandidaten hat. Dabei führt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aber nicht dazu, dass die Prüfungskandidaten völlig rechtlos sind. Auch sie können sich rechtlich gegen Prüfungsergebnisse zur Wehr setzen.
Hierbei ist das Vorgehen gegen ein Prüfungsergebnis nicht per se unchristlich oder ungehörig, sondern – dies erkennt das Kirchenrecht auch an – „das gute Recht“ der Prüfungskandidaten. Allerdings gelten im Kirchenrecht einige Besonderheiten gegenüber dem weltlichen Prüfungsrecht, sodass ein spezialisierter Ansatz gefragt ist.

Autor

Dr. Ulrich Schulte am Hülse

Publikationen:

Veröffentlichungsliste Dr. Schulte am Hülse (PDF)

Auswahl (Sonderdrucke als PDF)

Das Abgreifen von Zugangsdaten zum Online-Banking, in: MMR 7/2016, S. 435-440.

Umfang des Auskunftsanspruches gegen die Schufa-Scorewerte, in: NJW 17/2014, S. 1235-1239

Der Anscheinsbeweis bei missbräuchlicher Bargeldabhebung an Geldautomaten mit Karte und Geheimzahl, in: NJW 18/2012, S. 1262-1266.

Das Abgreifen von Bankzugangsdaten im Online-Banking, in: MMR, 2010, S. 84-90.

Weitere Sonderdrucke auf Anfrage

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