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Wettbewerbsrechtliche Abmahnwellen im Internet - Fragwürdige Praktiken zum Geldverdienen?

Wettbewerbsrechtliche Abmahnungen im Internet sind längst nicht mehr nur ein Modethema, sondern ein echter Dauerbrenner geworden. Die Rechtsordnung hat sich in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt. Bei genauem hinsehen ist das, was für kleinere Unternehmen nicht nur zu einem Ärgernis, sondern angesichts der Kosten im Einzelfall auch existenzbedrohend sein kann, vom Gesetzgeber offensichtlich gewollt. Kleinere Rechtsverstöße, die früher regelmäßig „nur“ eine Ordnungswidrigkeit begründeten und nur auf hoheitlicher Ebene verfolgt wurden, überlässt der Gesetzgeber in weiten Bereichen den Mitbewerbern und abmahnfähigen Verbänden: dogmatisch eine Form der Privatisierung des Öffentlichen Rechts. Und so rauscht eine Abmahnwelle nach der nächsten an uns vorbei, die auch dadurch begünstigt wird, dass es viele Gesetze gibt, die kaum noch einer durchblickt.

Übersicht

Wie eine Abmahnwelle entsteht

Ein Wort vorab: es kann durchaus Gründe geben, einen Mitbewerber wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens abzumahnen; etwa dann, wenn geschäftsschädigende Äußerungen über den Mitbewerber getätigt werden. In diesem Beitrag berichten wir jedoch über typische Abmahnwellen, bei der sich ein Mitbewerber lediglich die Tatsache zunutze macht, dass auch ein durchschnittlich informierter geschäftlich agierender Unternehmer nicht immer über sämtliche Gesetzes- und Rechtsentwicklungen tagesaktuell informiert ist. Das Spiel hat Kindergartenniveau: „ich weiß etwas, was Du nicht weißt“.

Wer das Internet als Plattform für geschäftliche Aktivitäten nutzt, der kann schon mal ein Schreiben bekommen, indem beispielsweise folgender Vorwurf erhoben wird: „Hiermit zeigen wir Ihnen die Vertretung von XY an. Unsere Mandantin und Sie sind Wettbewerber auf dem gleichen Markt. Auf Ihrer Internetseite haben Sie übersehen, die Angaben gemäß §§ 3, 5 EnVKV in Verbindung mit Ziffer 6 und Spalte 5 der Tabelle 1 der Anlage 1 zur EnVKV in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie der Europäischen Union Nr. 95/12/EG einzuhalten. Deshalb geben Sie bitte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab und zahlen meinem Mandanten die durch Rechtsverfolgung entstandenen Kosten gemäß der beigefügten Rechtsanwaltsvergütungsrechnung“.

An diesem beliebig herausgegriffenen Beispiel wird ein fiktiver Unternehmer mit einer Paragraphenkette genervt, von der er im Regelfall noch nie vorher gehört hat. Wer liest schon sämtliche Amts- und Gesetzesblätter ab der Ebene der Europäischen Union, über das Bundesgesetzblatt und diverse Landesgesetzblätter und diverse Amtsblätter unterschiedlichster Bundes- und Landesministerien gleichzeitig, um sich rechtlich abzusichern? Eine unternehmerische Tätigkeit ließe sich mit einem derart zeitaufwendigen Steckenpferd kaum vereinbaren.

Bei unserem Beispielfall geht es um die „Verordnung über die Kennzeichnung von Haushaltsgeräten mit Angaben über den Verbrauch an Energie und anderen wichtigen Ressourcen“ (kurz: EnVKV), die unserem fiktiven Abmahn-Opfer entgangen ist. Dabei geht es nicht um „Tod und Leben“ und auch nicht um „Kind, Ehre und Weib“, sondern um bloße Hinweispflichten über Angaben zum Energieverbrauch von bestimmten Elektrogeräten, die dem Verbraucher das Leben erleichtern sollen. Gerüchteweise soll es aber eine Reihe ausgebildeter Juristen mit zwei Staatsexamina geben, die von dieser Verordnung ebenfalls noch nie etwas gehört haben. Da dies nur ein beliebig herausgegriffenes Beispiel ist, kann die EnVKV alternativ auch ersetzt werden durch die Behauptung der Verletzung irgendeiner anderen abmahnfähigen Vorschrift. Vorschriften gibt es in Deutschland sehr viele und deshalb reichen die Möglichkeiten für Abmahnwillige etwa ins unendliche. Im Bereich des Internet ist die Behauptung eines Verstoßes gegen Belehrungspflichten über ein Widerrufs- oder Rückgaberecht ebenso beliebt, wie Abmahnungen wegen Verletzung von Impressumspflichten (Telemediengesetz). Wenn einem gar nichts mehr einfällt, zieht der Abmahner vielleicht die uralte Preisangabenverordnung aus der Tasche oder die neuen Hinweispflichten in der e-Mail-Korrespondenz für Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach § 35a GmbHG.

Abmahn-Absurditäten sind gelebte Praxis

Praxisrelevant sind die erst seit wenigen Jahrzehnten inflationär geregelten Hinweispflichten, die fast alle aufgrund der Umsetzung von EU-Richtlinien ins deutsche Zivilrecht gelangten. Der Unternehmer, der im Internet eine Bestellmöglichkeit bereit hält, muss den Verbraucher inzwischen auf alles mögliche hinweisen, u. a. auf ein bestehendes Widerrufs- oder Rückgaberecht. Wenn das alles wäre, wäre es für den Unternehmer recht einfach; doch der Teufel steckt im Detail. Die Problematik an diesen Gesetzen ist stets, dass sie alles andere als klar, einfach und für jedermann verständlich sind, sondern auf EU-Ebene in einem Kompromissfindungsprozess von zahlreichen Parteien, Lobbygruppen und unterschiedlichen Sprach- und Rechtstraditionen zustande gekommen sind. Dadurch existieren seit Jahren ungeklärte Rechtsfragen, die immer darin münden, wie ein rechtsgültiger Belehrungstext auszusehen hat.

Der nationale Gesetzgeber hatte dabei klug erkannt, dass solche Streitigkeiten über den Inhalt von Belehrungen eigentlich überflüssig sein sollten und wollte es den Unternehmen einfach machen. In der Anlage 2 zur BGB-InfoV existiert nämlich ein Musterbelehrungstext und in § 14 Abs. 1 BGB-InfoV ist eindeutig geregelt, dass wenn der Unternehmer diese Musterbelehrung verwendet, er den Anforderungen an eine rechtsgültige Belehrung genügt. Und so verwenden gegenwärtig tausende Unternehmer alle die gleiche Belehrung im Vertrauen darauf, dass dieses Wort auch gilt und die Belehrung rechtsgültig ist.

Nicht abschließend geklärt ist gegenwärtig, ob sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Einzelne Gerichte und Stimmen aus der Rechtsliteratur sind nämlich der Ansicht, dass selbst die Musterbelehrung doch nicht rechtsgültig sein soll.

Inflationäre Ordnungsgelder mit wenig praktischer Relevanz

Wer beim zu schnellen Autofahren erwischt wird, hat sich daran gewöhnt, dass er heute etwas mehr zahlen muss, als noch vor wenigen Jahren. Wer früher zu schnell gefahren ist und dafür mit 30,00 oder 40,00 Euro davonkam, muss heute schnell das doppelte und mehr zahlen. Doch wussten Sie, was ein Verstoß gegen die besagte EnVKV kosten kann: bis zu 50.000,00 Euro. Wer das nicht glauben will, der mag einmal die Ordnungsgeldandrohung in § 2 des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes (EnVKG) nachlesen, dort steht es schwarz auf weiß. Dieser Trend zu einem inflationären Ordnungsgeld setzt sich fast überall in den neueren und neuesten Gesetzen fort; besonders dann, wenn der Bereich des Internet betroffen ist. Ein Verstoß gegen die allgemeinen Informationspflichten nach dem Telemediengesetz kann inzwischen ebenfalls mit bis zu 50.000,00 Euro geahndet werden (§ 16 Abs. 3 TMG).
Während § 17 Abs. 1 OWiG für den Bereich einer „klassischen“ Geldbuße noch bestimmt, dass die Geldbuße mindestens fünf Euro, aber im Regelfall nicht mehr als 1.000,00 Euro betragen soll, sieht es bei den neueren Ordnungsgesetzes anders auf. Das wirklich kuriose an diesen inflationären Ordnungsgeldandrohungen ist jedoch, dass sie keine praktische Relevanz haben. Es gilt nämlich die uralte Devise: „wo kein Kläger, da kein Richter“ und der Staat verfolgt die von ihm selbst geschaffenen Gesetze kaum. Fast sämtliche Prozesse, die im Bereich des Internets wegen einer Verletzung von Impressumspflichten nach dem früheren Teledienstegesetz oder dem heutigen Telemediengesetz geführt worden sind, waren reine Wettbewerbsprozesse von Wettbewerbern oder abmahnfähigen Verbänden und wurden fast ausschließlich vor den Zivilgerichten geführt.

Wie verteidigt man sich erfolgreich gegen Abmahnungen?

Die auf das Internet- und Wettbewerbsrecht spezialisierten Rechtsanwälte unseres Büros haben eine Strategie entwickelt, um einzelfallbezogen auf die oben beschriebenen Abmahnungen rechtsverteidigend zu reagieren. Unser Ziel ist es, einen durch die Abmahnung drohenden wirtschaftlichen Schaden so weit wie möglich zu minimieren. Im Idealfall zahlt der Gegner sämtliche Kosten, wenn er den Prozess verliert. In vielen Fällen konnten wir Störpotentiale derart reduzieren, dass der Mandant nur seinen eigenen Anwalt bezahlt, weil das Problem durch eine zügige Rechtsprüfung einer außergerichtlichen Klärung zugeführt wurde. In den Genuss, Abmahnkosten zu kassieren, kommt der Gegner dann nicht. Gibt der Fall diesen Erfolg jedoch nicht her, gilt es Einigungsmöglichkeiten mit dem Gegner auszuloten.

Unsere Strategien sind immer einzelfallbezogen und reichen von der Abgabe einer Gegenabmahnung (Stichwort: „wir drehen den Spieß mal um und schauen uns die Internetseite des Abmahnenden genauer an“), der Erhebung einer negativen Feststellungsklage bei unberechtigten oder rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen, bis hin zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, verbunden mit dem Zusatz „ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht“. In bestimmten Situationen verhandeln wir mit der Gegenseite über die Reduzierung der Kosten. Selbst wenn wir uns gemeinsam mit unserem Mandanten dazu entschließen, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, geben wir jedoch so gut wie nie, die zuvor im Abmahnschreiben vorformulierte Unterlassungserklärung ab. Regelmäßig ist sie zu weitgehend vorformuliert worden und berücksichtigt nur die Interessen des Gegners.

Unter Umständen empfiehlt es sich eine Schutzschrift bei Gerichten zu hinterlegen, um einer Überraschung durch ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vorzubeugen. Solche Gerichtsentscheidungen können im schlimmsten Fall ohne vorherige Anhörung des Prozessgegners und ohne mündliche Verhandlung erlassen werden. Gerade im Bereich des Internet wird es regelmäßig erforderlich sein, Schutzschriften bei mehreren Gerichten gleichzeitig zu hinterlegen.

Autor

Dr. Ulrich Schulte am Hülse

Publikationen:

Veröffentlichungsliste Dr. Schulte am Hülse (PDF)

Auswahl (Sonderdrucke als PDF)

Das Abgreifen von Zugangsdaten zum Online-Banking, in: MMR 7/2016, S. 435-440.

Umfang des Auskunftsanspruches gegen die Schufa-Scorewerte, in: NJW 17/2014, S. 1235-1239

Der Anscheinsbeweis bei missbräuchlicher Bargeldabhebung an Geldautomaten mit Karte und Geheimzahl, in: NJW 18/2012, S. 1262-1266.

Das Abgreifen von Bankzugangsdaten im Online-Banking, in: MMR, 2010, S. 84-90.

Weitere Sonderdrucke auf Anfrage

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